![]() 09.10.1998: Im Holunder Hof sägen und hobeln nur Frauen |
KELKHEIM In der Tischlerwerkstatt von Sigrun Horn und Peer Rohrsdorf hobeln, leimen und polieren nur Frauen. Den alten Meister gibt es längst nicht mehr. Statt dessen leitet Horn die Schreinerei auf dem Holunderhof in der Möbelstadt Kelkheim und hat gute Erfahrungen mit ihren weiblichen Angestellten gemacht. Frauen, deren Anteil sie unter den Schreiner-Lehrlingen auf zehn Prozent schätzt, seien in vielen Dingen ufmerksamer, sensibler und auch belastbarer. Den Mädchen gefällt die "Männerarbeit". "Es ist gut hier", sagt Kathrin, die bereits im dritten Jahr lernt und kurz vor der Gesellenprüfung steht. Sie hatte zunächst vorgehabt, Kunstgeschichte zu studieren, dann aber die praktische Ausbildung vorgezogen. "Mir gefällt das Künstlerische an der Arbeit hier. Eine richtige Entscheidung." "Junge Mädchen haben es schwer, eine Lehrstelle im Handwerk zu bekommen. Deshalb geben wir bei der Einstellung Frauen grundsätzlich den Vorzug", sagt Horn. Im Moment schreinern drei weibliche Lehrlinge und zwei Gesellinnen in der Werkstatthalle. Sie kennen fast alle Vorurteile. Was sie am häufigsten hören, ist: Frauen seien zu schwach für diese Arbeiten. "Dabei kommt die Kraft mit der Zeit. Das ist eine Frage des Trainings." Beim Ausladen könnten die Mädchen ja auch zu zweit anpacken. Meisterin Sigrun Horn hat ihre Gesellenjahre bereits im eigenen Betrieb absolviert. 21 Jahre war sie alt, als sie den leerstehenden Hof vor 16 Jahren gemeinsam mit ihrem Partner anmietete, gründlich renovierte und ausbaute. Kelkheim ist eine traditionelle Möbelstadt. "In fast jedem Hinterhof steht noch eine Schreinerbank", erzählt Horn. Viele alteingesessene Betriebe in der Main-Taunus-Stadt hätten während der vergangenen 16 Jahre geschlossen, aber allmählich kämen junge Schreiner wieder in den Ort: "Kelkheim ist heute ein richtiger Jungbrunnen." "Originalität ist unsere Domäne", steht in Mintgrün auf einem Schild am Hofeingang.. "Antiquitäten, exklusive Möbel, High Tech-Klassiker, Design, Objekt." Will ein Kunde einen Tisch zum Couchtisch erniedrigen oder den wertvollen Biedermeier-Schrank zum platzsparenden Eckschrank verstümmeln, lehnen das die jungen Schreinerinnen kategorisch ab. Bevor sie historische Substanz zerstören, kreieren sie lieber etwas Neues. Eigene Entwürfe haben sie im hofeigenen Laden ausgestellt. Eine ganze Produktlinie soll demnächst entworfen werden. Horn: "Wir versuchen, Ideen aus alten Zeiten in die Gegenwart zu übersetzen. Das ergibt eine eigentümliche Spannung." "Wer genau hinschaut, bekommt bald einen Blick für die feinen Unterschiede zwischen industrieller Produktion und individueller Fertigung", sagt die Schreinerin. "Wir wollen unseren Kunden zeigen, was sie für ihr Geld bekommen. Sie können die einzelnen Arbeitsschritte sehen, die lauten Maschinen hören und alles anfassen: Alt und neu, was war und was ist." Und was sein wird, zeigt bald die Homepage im Internet - an der wird aber noch gebaut. Christina Niesmak |
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